Anna Freud : „Schlagephantasie und Tagtraum“

La suite et un destin psychique du fantasme « On bat un enfant »

Vortrag in der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung am 31 Mai 1922. Imago, VIII Band, 1922, Internationaler Psychoanalytischer Verlag,Leipzig – Wien – Zürich – London, pp. 317-332.

 

 Meine Herren und Damen!

Ich nehme schon seit einer Reihe von Jahren Ihre Gastfreund, Schaft in Anspruch, habe mich aber bisher noch durch keine Art von Mitarbeit bei Ihnen bemerkbar gemacht. Nun weiß ich zwar aus guter Quelle, daß die Vereinigung ein solches untätiges Zuschauen ihrer Gäste im allgemeinen nicht billigt. Aber ich meine, ich wäre auch heute noch bei meinem Verhalten geblieben, wenn Ihre strengen Regeln nicht jedem, der sich um die Mitgliedschaft bei Ihnen bewirbt, auch vorschreiben würden, vorher etwas von sich hören zu lassen. So ist also mein Ansuchen um Aufnahme in die Wiener Vereinigung der Beweggrund und gleich, zeitig die Entschuldigung meines heutigen Vortrags.

In der Mitteilung, die ich vorbringe, handelt es sich um eine kleine Illustration zu dem Aufsatz von Professor Freud »Ein Kind wird geschlagen«. Sie ist in einer Reihe von gemeinsamen Gesprächen mit Frau Lou Andreas-Salomé entstanden, der ich für ihr Interesse und ihren Anteil daran sehr viel zu danken habe.

In dem Aufsatz „Ein Kind wird geschlagen“ beschäftigt sich der Autor mit einer Phantasievorstellung, die – wie er sagt – mit überraschender Häufigkeit von Personen eingestanden wird, die wegen einer Hysterie oder einer Zwangsneurose die analytische Behandlung aufgesucht haben. Er hält für recht. wahrscheinlich, daß sie noch öfter bei anderen vorkommt. die nicht durch deutliche Erkrankung zu einem sollen Schritt genötigt sind. Diese sogenannte Schlagephantasie ist regelmäßig mit hoher Lust besetzt und läuft in einen Akt lustvoller autoerotischer Befriedigung aus. Ich meine, ich kann den Inhalt dieser Arbeit, die Schilderung der Phantasie, die Rekonstruktion der Phasen, aus denen sie entstanden ist und ihre Herleitung aus dem Ödipuskomplex hier als bekannt voraussetzen, Ich werde übrigens im weiteren Verlaufe des Abends immer wieder und zum Teil recht ausführlich auf sie zurückkommen.

An einer bestimmten Stelle seiner Arbeit berichtet der Autor, daß ihm weibliche Fälle bekannt sind, bei denen sich über der masochistischen Schlagephantasie ein kunstvoller, für das Leben der Betreffenden sehr wichtiger Überbau von Tagträumen entwickelt hat, dem die Funktion zufiel, das Gefühl der befriedigten Erregung auch bei Verzicht auf den onanistischen Akt möglich zu machen. Nun ist es mir gelungen, aus einem Material von verschiedenen Tagträumen einen herauszugreifen, der zur Veranschaulichung dieser kurzen Bemerkung besonders geeignet erscheint. Er ist bei einem etwa fünfzehnjährigen Mädchen entstanden, bei dem die tagträumerische Betätigung trotz ihrer Ausgiebigkeit nie in Konflikt mit der Realität geraten war, er ist nach Anlaß, Entwicklung und Abschluß genau feststellbar und seine Abkunft und durchgängige Abhängigkeit von einer seit langem bestehenden Schlagephantasie ist in ziemlich eingehender Analyse nachgewiesen worden.

I.

 Versuchen wir die gesamte Phantasietätigkeit unserer Tagträumerin ihrer Entwicklung nach zu verfolgen. Sie bildet also im fünften oder sechsten Lebensjahr – es war nicht genau fest», zustellen wann, aber jedenfalls vor begonnenem Schulbesuch eine Schlagephantasie nach dem Typus der von Freud geschilderten, Der Inhalt bleibt anfangs äußerst monoton: irgend ein Knabe wird von irgend einem Erwachsenen geschlagen. Etwas später verwandelt er sich in: viele Knaben von vielen Erwachsenen. Aber die Person der geschlagenen Knaben wie auch die der schlagenden Erwachsenen bleibt unbekannt und in fast allen Fällen auch das Vergehen, für welches die Züchtigung vorgenommen wird. Die verschiedenen Situationen werden vermutlich sehr lebhaft gesehen, in der späteren Analyse aber immer nur mit dürftigen Worten und ohne jede Anschaulichkeit berichtet. Jede einzelne, oft sehr kurze, phantasierte Szene wird von starker Erregung begleitet und von einem onanistischen Akt abgeschlossen.

Das Schuldbewußtsein, das sich auch bei unserem Kinde sofort an die Phantasie heftet, erklärt die Arbeit Freuds auf folgende Weise. Es heißt dort, daß diese Form der SchlagePhantasie eben nichts Ursprüngliches ist, sondern nur der bewußte Ersatz für eine frühere, unbewußte Phase, in der die jetzt unkenntlich und indifferent gewordenen Personen noch sehr bekannte und bedeutungsvolle waren: der geschlagene Knabe das phantasierende Kind selber, der schlagende Erwachsene der eigene Vater. Aber auch diese Phase ist – wie es dort heißt – noch nichts Ursprüngliches, sondern nur die durch Regression und Verdrängung zustande gekommene Umwandlung einer vorhergegangenen ersten, die uns in die lebendigsten Zeiten des Odipuskomplexes zurückführt Auch in dieser ersten Phase war der Schlagende der Vater, das geschlagene Kind aber nicht das phantasierende, sondern andere Kinder, die Geschwister, also Konkurrenten um die Liebe des Vaters. Was diese Phase ausdrücken wollte, war eine Inanspruchnahme der Liebe für die eigene Person, während die Strenge und Züchtigung den andern gelassen wurde. Die Verdrängung der Ödipuseinstellung, das erwachende Schuldbewußtsein, wendete später die Strafe auf die eigene Person. Aber gleichzeitig konnte durch eine Regression von der genitalen auf die prägenitale, sadistisch-anale Organisation die Schlagesituation immer noch als Ausdruck einer Liebessituation benützt werden. Daher also die Entstehung einer zweiten Phase, die wegen ihres allzu bedeutungsvollen Inhalts unbewußt bleiben mußte, und ihr Ersatz im Bewußtsein durch eine den Ansprüchen der Verdrängung besser genügende dritte Phase, die jetzt Träger der Erregung und des Schuldbewußtseins geworden ist. Denn der geheime Sinn dieser seltsamen Phantasie wäre ja noch immer in den Worten ausgedrückt : „Der Vater liebt nur mich.“

Bei unserem Kinde heftet sich das aus der Verdrängung der Einstellung zum Vater bezogene Schuldbewußtsein anfangs nicht so sehr an die Phantasie selber, obwohl auch diese von Beginn als etwas Häßliches empfunden wird, sondern an, die autoerotische Betätigung, die regelmäßig ihren Abschluß bildet. Das kleine Mädchen macht darum -durch eine Reihe von Jahren immer miß. lingende, aber immer erneute Versuche, die beiden voneinander zu trennen, die Phantasie als Lustquelle zu behalten und die mit den Ansprüchen des Ichs als unvereinbar empfundene sexuelle Befriedigung aufzugeben. Die Phantasie selber erfährt in dieser Zeit alle möglichen Wandlungen und Ausgestaltungen. In dem Bemühen, die erlaubte Lust so lange als möglich auszukosten und den verpönten Abschluß ins Unbestimmte hinauszuschieben, wird alles mögliche, an sich nebensächliche Beiwerk hinzugetan und mit großer Ausführlichkeit geschildert Gleichzeitig erfindet die Phantasie des Kindes vollständige, komplizierte Organisationen und Institutionen, Schulen und Erziehungsanstalten, in denen diese Schlageszenen vor sich gehen sollen und stellt Regeln und Gesetze auf, an welche die Bedingungen der Lustgewinnung geknüpft bleiben. Die schlagenden Personen sind jetzt durchwegs Lehrer und Erzieher, ganz selten und erst In späterer Zeit spielen auch die Väter der Knaben meist eine bloße Zuschauerrolle. Aber auch bei dieser detaillierten Aus. führung sind die handelnden Personen schemenhaft, alles näher Bestimmende, wie Namen., Gesichtszüge, persönliches Schicksal bleibt ihnen vorenthalten.

Ich möchte natürlich nicht behaupten, daß ein solcher Auf. schub der eigentlich lustbetonten Szene, das Hinausziehen und Verlängern der ganzen Phantasie immer ein Ausdruck des Schuldbewußtseins Ist, ein Erfolg der Bemühung, Phantasie und autoerotische Betätigung voneinander zu lösen. Die gleiche Technik wird auch bei Phantasien verwendet, bei denen das Schuld bewußt. sein keine Rolle spielt und dient dort einfach dazu, die Spannung und damit die erwartete Endlust zu erhöhen.

Verfolgen wir jetzt das Schicksal der Schlagephantasie um einen Schritt weiter. Mit zunehmendem Alter erstarken bei unserem Kinde alle dem Ich dienenden Tendenzen’, in denen die Moralansprüche der Umgebung verkörpert sind. Die Phantasie, in der sich das ganze Sexualleben des kleinen Mädchens konzentriert, findet es infolgedessen immer schwerer sich durchzusetzen. Der Versuch, Schlagephantasie und autoerotische Befriedigung voneinander abzutrennen, wird als mißlungen aufgegeben, die Verpönung erstreckt sich immer weiter, jetzt auch auf den Inhalt der Phantasie. Jeder ihrer Durchbrüche, die nur mehr nach längerem Kampfe mit starken, sich widersetzenden Kräften geschehen können, wird von heftigen Selbstvorwürfen, Gewissensbissen und einer Zeit leichter Verstimmung gefolgt. Das Befriedigende an ihr wird infolgedessen immer mehr in den einen Lustmoment selber zusammengedrängt, der In vor- und nachher  auftretende Unlust wie eingebettet erscheint. Die Schlagephantasie erfüllt also ihre Aufgabe als Lustquelle immer schlechter und unvollkommener und wird im Laufe der Zeit in der Häufigkeit ihres Auftretens erheblich eingeschränkt.

II.

 Zur gleichen Zeit – es kann etwa zwischen dem achten und zehnten Lebensjahr gewesen sein, das Alter war wieder nicht genau feststellbar – beginnt unser Kind eine neue Art von Phantasietätigkeit, deren Ergebnisse es selbst zum Unterschied von der häßlichen Schlagephantasie als seine „schönen Geschichten“ bezeichnet. Diese „schönen Geschichten“ malen – so erscheint es der ersten Beobachtung – lauter angenehme, heitere Szenen aus und bringen Beispiele von menschenfreundlichem, liebevollem und gütigem Verhalten. Alle Personen, die in den schönen Geschichten handelnd auftreten, erhalten einen Namen., bestimmte Gesichts. züge, eine genau detaillierte äußere Erscheinung und eine persönliche Lebensgeschichte, die oft bis weit in ihre phantasierte Vergangenheit zurückreicht. Die Familienverhältnisse, die Bekanntschaft und Verwandtschaft der einzelnen Gestalten untereinander werden genau bestimmt und alle Einzelheiten der äußeren Umstände dem wirklichen Leben so getreu als möglich nachgebildet, Der äußere Rahmen der Geschichten verändert sich leicht, wenn im Leben der Tagträumerin Veränderungen eintreten, ebenso werden alle mög, lichen Anregungen aus der Lektüre bereitwillig aufgenommen. Die Vollendung jeder der in sich geschlossenen Einzelszenen wird regelmäßig von einem starken und durch kein Schuldbewußtsein getrübten Glücksgefühl begleitet, von einem autoerotischen Akt ist dabei keine Rede mehr. Diese Art der Phantasietätigkeit kann infolgedessen ungestört einen immer breiteren Raum im Leben des Kindes einnehmen. Wir haben hier das kunstvolle, für das Leben der Betreffenden wichtige Gebilde von Tagträumen, von dem Freud in seiner Arbeit spricht. Inwieweit wir berechtigt sind, es als einen Überbau auf dem Boden der masochistischen Schlagephantasie anzusehen, soll die weitere Fortsetzung dieser Untersuchung anschaulich machen.

Die Tagträumerin selbst wußte von einer Abhängigkeit oder irgend einem Zusammenhang der schönen Geschichten mit der. Schlagephantasie nichts und hätte ihn damals sicher auch mit aller Entschiedenheit geleugnet. Die einen waren ihr die Verkörperung alles Häßlichen, Anstößigen und Verpönten, die anderen der Aus. druck des Schönen und Beglückenden. Eine Verbindung beider konnte für ihr Gefühl nicht bestehen, ja es war undenkbar, daß z. B. eine den schönen Geschichten entnommene Gestalt in den Schlageszenen Verwendung finden könnte. Jede Berührung der beiden wurde so ängstlich vermieden, daß sich sogar  jeder der hin und wieder vorkommenden Durchbrüche der Schlagephantasie mit einem zeitweiligen Entzug der schönen Geschichte bestrafte.

So dürftig in der Analyse alle Auskünfte über die Schlagephantasie gelautet hatten – es waren meist knappe. und mit allen Anzeichen der Scham und des Widerstandes gegebene Andeutungen, aus denen man sich mühsam das richtige Bild konstruieren mußte – so bereitwillig kamen nach Überwindung der ersten Schwierigkeiten lebhafte und anschauliche Berichte über die verschiedenen phantasierten Einzelszenen der „schönen Geschichten“, Ja, es machte sogar den Eindruck, als könne die Tagträumerin nicht genug vom Erzählen bekommen, als empfinde sie dabei ein ähnliches oder gar noch gesteigertes Vergnügen, wie beim Phantasieren selber. Unter diesen Umständen war es nicht schwer, die ganze Fülle der Gestalten und Situationen bald gegliedert vor sich zu sehen. Es erwies sich, daß unser Mädchen nicht nur eine, sondern eine ganze Reihe von Geschichten entwickelt hatte, der Konstanz der handelnden Personen und des ganzen jeweiligen Rahmens halber verdienen sie wohl den Namen von „fortgesetzten Tagträumen“ (continued stories). Eine darunter war die hauptsächliche und wichtigste, in der die größte Zahl von Gestalten be  schäftigt war, die sich durch die längste Reihe von Jahren erhielt, verschiedene Veränderungen durchmachte und – ähnlich wie die Sagenkreise in der Mythologie – selber wieder Abzweigungen bildete, die zu beinahe selbständigen Geschichten mit zahlreichen Einzelsituationen ausgestaltet wurden. Neben dieser großen Geschichte bestanden dann verschiedene kleine, mehr oder weniger bedeutungsvolle, die mit ihr abwechselten, alle aber nach demselben Muster gebildet. Um nun näher in den Bau eines solchen Tagtraums einzudringen, greife ich als Beispiel die kürzeste der schönen Geschichten heraus, die sich wegen ihrer Übersichtlichkeit und Abgeschlossenheit am besten für die Zwecke dieser Mitteilung eignen wird.

Unserem jetzt vierzehn- oder fünfzehnjährigen Mädchen gerät also, nachdem es bereits mehrere fortgesetzte Tagträume entwickelt hat und nebeneinander fortführt, durch Zufall ein Knabenbuch etwa im Range des „Guten Kameraden“ in die Hand, in dem sich unter anderen auch eine wenige Seiten umfassende Geschichte aus der Ritterzeit findet. Sie liest sie mit lebhaftem Interesse einoder zweimal, stellt das Buch dann seinem richtigen Besitzer zurück und sieht es nie wieder. Ihre Phantasie bemächtigt sich aber sofort der verschiedenen Gestalten und aller in der Erzählung gebotenen äußeren Umstände, macht sie sich ganz zu eigen, spinnt -die Hand. lung weiter aus und räumt Ihr, ganz wie einem spontanen eigenen Phantasieprodukt, einen nicht unbedeutenden Platz in der Reihe ihrer schönen Geschichten ein.

Trotz einiger Bemühungen der Analyse gelang es nicht, den Inhalt dieser gelesenen Erzählung auch nur annähernd sicher fest. zustellen. Er war durch die: Phantasietätigkeit der Tagträumerin so zerstückt, ausgesogen und von neuen Dingen überlagert worden, daß jede Sonderung zwischen Aufgenommenem und selbständig Produziertem unmöglich war. Es bleibt daher uns, wie auch seinerzeit der Analyse, nichts anderes übrig, als diese praktisch ohnehin bedeutungslose Unterscheidung fallen zu lassen und uns mit allem Inhalt der phantasierten Szenen ohne Rücksicht auf seine Herkunft zu befassen.

Der in der Rittergeschichte verwendete Stoff war der folgende: Ein mittelalterlicher Burggraf führt einen längeren Kampf mit einer Anzahl von Adeligen, die sich gegen ihn verbündet haben. Im Verlaufe eines Handgemenges gerät ein fünfzehnjähriger Junker, also ein Knabe in dem der Träumerin entsprechenden Alter, in die Gewalt der Knechte des Grafen und wird auf die Burg gebracht.. Er verbringt dort eine längere Zeit der Gefangenschaft, aus der er schließlich befreit wird. Die Tagträumerin fahrt nun diese Handlung nicht einfach in einandergereihten Fortsetzungen, etwa wie bei einem Zeitungsroman, weiter, sondern benützt sie nur als eine Art äußeren Rahmens. In diesen trägt sie lauter kleine oder größere, völlig in sich abgeschlossene und voneinander unabhängige Szenen ein, von denen jede einzelne wie eine wirkliche große Erzählung gebildet ist, also eine Einleitung, Entwicklung und Steigerung bis zum Höhepunkt besitzt. Sie ist dabei an kein logisch geordnetes Ausarbeiten des Stoffes gebunden, kann je nach Stimmung zu einer früheren oder späteren Erzählungsperiode zurückkehren und Jederzeit zwischen zwei vollendete und zeitlich nebeneinandergesetzte Szenen noch eine neue einfügen, bis schließlich der Rahmen der Erzählung von der Fülle der darin untergebrachten Situationen fast gesprengt wird.

In diesem einfachsten Tagtraum gibt es nur zwei wirklich handelnde Personen, alle übrigen kann man als nebensächliches Beiwerk beiseite lassen. Die eine dieser Hauptpersonen ist der gefangene Knabe, den der Tagtraum mit allen möglichen guten und einnehmenden Eigenschaften ausstattet, die andere der Burg. graf, der als finster und gewalttätig geschildert wird. Durch allerlei aus der Vergangenheit und Famdiengeschichte der beiden hinzugefügte Details wird der Gegensatz zwischen ihnen noch verstärkt, also ein Untergrund von scheinbar unversöhnlicher Feindseligkeit eines Mächtigen, Starken gegen einen Unterworfenen, Schwachen geschaffen. Eine einleitende Hauptszene schildert dann das erste Zusammentreffen der beiden, in dem der Graf den Entschluß verrät, den Gefangenen durch Drohung mit der Folter zu einem Verrat zu bewegen, dadurch wird in dem Knaben die Überzeugung seiner hilflosen Lage befestigt und seine Furcht vor dem Grafen erweckt. Auf diesen beiden Momenten bauen sich dann alle weiteren Situationen auf. Zum Beispiel: Der Graf treibt es tatsächlich fast bis zur Folterung des Gefangenen, läßt aber im letzten Augen. blick von ihm ab, er richtet ihn durch eine lange Kerkerhaft fast zugrunde, läßt ihn aber dann, noch ehe es zu spät ist, pflegen und wieder gesunden, er bedrängt ihn nach seiner Genesung von neuem,’ nur um ihn, von seiner Standhaftigkeit bezwungen, wieder zu schonen, und er gewährt ihm, immer scheinbar im Begriff, ihm Übles zuzufügen, Begünstigung nach Begünstigung. Oder aus einer späteren Periode der Erzählung: Der Graf trifft den Gefangenen .außerhalb der Grenzen, die seiner Bewegungsfreiheit gezogen sind, aber er verschmäht es,. ihn wie erwartet mit neuer Kerkerhaft dafür zu bestrafen, er ertappt ihn ein andermal auf der Ober, tretung eines Ihm auferlegten Verbotes, aber er erspart ihm selber dann die öffentliche Demütigung, die darauf -gesetzt war, er legt ihm Entbehrungen auf und der Gefangene fühlt dann den Genuß des wieder Gewährten nur um so deutlicher. – Alt das geschieht in lebhaft ausgeführten und dramatisch bewegten Szenen. In jeder von ihnen lebt die Tagträumerin die Angst und Standhaftigkeit des bedrohten Knaben in vollster Erregung mit. In dem Augenblick, in dem sich In dem Peiniger Zorn und Wut in Mitleid und Güte verwandeln, also in dem erreichten Höhepunkt jeder Szene, löst sich diese Erregung in ein reines Glücksgefühl.

Das tagtraumhafte Durchspielen der erwähnten Szenen der Rittergeschichte mit der Bildung immer neuer, ihnen ähnlicher Situationen nahm gewöhnlich einige Tage, allerhöchstens ein bis zwei Wochen in Anspruch. Die strenge Ausarbeitung und Entwicklung der einzelnen Tagtraumstücke pflegte am besten zu Beginn jeder solchen Phantasieperiode zu gelingen. Zu dieser Zeit bestand die schon erwähnte Möglichkeit, von jeder Einzelsituation aus alle vorhergehenden und nachfolgenden als nicht vorhanden zu betrachten, im vollsten Umfang. Infolgedessen fand die Bedrohlichkeit der Lage des Gefangenen und die Möglichkeit eines schlechten Ausganges der Szene bei der Tagträumerin vollen Glauben und der Schilderung der Angst, also der Vorbereitung des Höhepunktes, wurde ein breiter Raum zugewiesen. Dauerte das Phantasieren aber längere Zeit, so schien sich, der Absicht der Träumerin entgegen, von Szene zu Szene ein Stück Erinnerung an den glücklichen Aus. gang fortzuschleppen, Furcht und Besorgnis wurden ohne rechte Überzeugung geschildert und statt sich auf einen einzigen, kurzen Lustmoment zu beschränken, breitete sich die versöhnlich..liebevolle Stimmung des Höhepunktes immer mehr aus und nahm schließlich allen sonst für Einleitung und Entwicklung verwendeten Raum In Anspruch, Damit aber war die Geschichte unverwendbar geworden und mußte – zumindest für die Dauer mehrerer Wochen – von einer anderen abgelöst werden, die ihrerseits nach einiger Zeit das gleiche Schicksal erfuhr. Nur die Lebensperioden des großen, hauptsächlichen Tagtraums dauerten unendlich viel länger als die der kleinen, nebensächlichen Geschichten. Die Ursache dafür ist sicher in seinem großen Reichtum an Gestalten und seinen vielfachen Abzweigungen zu suchen. Es ist auch nicht unwahrscheinlich, daß diese breitere Ausgestaltung eben nur darum erfolgt ist, um ihm in jeder Periode seines Auftauchens ein längeres Leben zu sichern.

Überblicken wir die geschilderten Einzelstücke des Ritter, tagtraums im Zusammenhang, so erstaunt uns die Monotonie, die sich in ihnen ausdrückt. Die Tagträumerin selber – ein sonst nicht unintelligentes und in ihrer Lektüre anspruchsvolles Mädchen – hatte sie nie, weder beim Phantasieren, noch beim Erzählen in der Analyse bemerkt. Aber die verschiedenen Szenen der Rittergeschichte bieten, ihres Beiwerks entkleidet, das sie auf den ersten Blick als individuell verschieden, bewegt und lebhaft erscheinen läßt, in jedem Fall das nämliche Gerüst-, ein Starker und ein Schwacher im Gegensatz zueinander, ein meist unfreiwilliges Vergehen des Schwachen, das ihn dem andern ausliefert, dessen drohende Haltung, die zu den schlimmsten Befürchtungen berechtigt, ein langsames, oft mit raffinierten Mitteln geschildertes Steigen der Angst fast bis zur Unerträglichkeit, und dann als lustvollen Höhe. punkt die Lösung, Verzeihung, Versöhnung und einen Augenblick des völligen Sicheinsfühlens der beiden Gegner. Das ist übrigens mit geringen Variationen auch die Struktur jeder Einzelszene in allen anderen sogenannten »schönen Geschichten » unserer Tag. träumerin.

In dieser Struktur liegt aber die wichtige, von der Tagträumerin nicht geahnte Analogie der schönen Geschichte mit der Schlagephantasie. Auch in der Schlagephantasie sind die handelnden Personen Starke und Schwache, in ihrer deutlichsten Ausprägung als Erwachsene und Kinder einander gegenübergestellt Auch dort handelt es sich regelmäßig um ein Vergehen, wenn auch ebenso unbestimmt gelassen wie die Gestalten selber. Ebenso findet sich auch dort eine Periode der Angst und der Spannung. Der ent. scheidende Gegensatz liegt erst in der Verschiedenheit der Lösung, die in der einen Phantasie durch die Züchtigung, in der anderen durch die Verzeihung oder Versöhnung gegeben wird.

Von der Analyse auf diese überraschende Übereinstimmung im Aufbau aufmerksam gemacht, konnte sich die Tagträumerin der Ahnung von einem Zusammenhang der beiden äußerlich so verschiedenen Phantasieprodukte nicht mehr lange verschließen. Und nachdem sie die Möglichkeit ihrer Verwandtschaft akzeptiert hatte, wurde ihr sofort noch eine Reihe anderer Beziehungen zwischen ihnen auffällig.

Auch noch bei Anerkennung der ähnlichen Struktur, scheint der flüchtigen Beobachtung, daß der Inhalt der Schlagephantasie nichts mit dem der schönen Geschichten zu tun hat . Aber auch die Behauptung der inhaltlichen Fremdheit läßt sich nicht voll auf. recht erhalten, Die nähere Betrachtung zeigt, daß die schönen Geschichten an den verschiedensten Stellen mehr oder.weniger deut-. liche Spuren von einem versuchten Durchbruch des alten Schlage. themas aufweisen. Das beste Beispiel dafür haben wir bereits im Rittertagtraum kennen gelernt: die Folterung, die als unausgeführte Drohung den Hintergrund für so viele seiner Szenen abgibt und ihnen eine bestimmte Färbung von Angst und Spannung verleiht, ist nichts anderes als der Anklang an eine alte Schlageszene, deren Ausführung der schönen Geschichte verwehrt bleibt. Weitere Arten einer solchen. Durchsetzung des Schlagethemas im Tagtraum finden sich zwar nicht in der Rittergeschichte, aber in den anderen Tag. träumen des Mädchens. Ich zitiere hier aus der großen Hauptgeschichte, so weit sie eben in der Analyse bekannt geworden ist. Zum Beispiel: In manchen Szenen wird dort die Rolle des Passiven, Schwachen (der Knabe des Rittertagtraums) auf zwei Gestalten verteilt. Die eine dieser Personen erlebt dann – nach gleicher Vorgeschichte – die Strafe, die andere die Verzeihung. Die Straf. szene ist hier an sich nicht  lust –  oder unlustbetont, sie bildet nur den Hintergrund, von dem die Liebesszene sich abhebt, und steigert deren Lustbetonung durch den Gegensatz. – Eine andere Möglichkeit ist, daß der Tagtraum den Passiven, während ihm Liebes zugefügt wird, in Gedanken eine vergangene Strafszene wieder durchleben läßt, auch hier erhöht der Gegensatz die Lustbetonung, Oder als dritte Möglichkeit: der Aktive, Starke erinnert sich, während die versöhnliche Stimmung des Höhepunktes über ihn kommt, an einen Straf- oder Schlageakt der Vergangenheit, in dem er, nach gleichem Vergehen, der Erleidende war.

Das Schlagethema kann sich aber nicht nur wie in den eben geschilderten vier Fällen neben dem eigentlichen Thema des Tag. traums durchsetzen, sondern auch als wirkliches Hauptthema einer Tagtraumszene verarbeitet werden. Bedingung dafür ist aber der Wegfall eines für die Schlagephantasie unentbehrlichen Zuges, nämlich der Demütigung durch den Schlag. So gibt es in der schon oft erwähnten Hauptgeschichte unseres Mädchens einige besonders wirkungsvolle Szenen, deren Höhepunkte die Schilderungen eines Schlages oder eines Strafaktes sind, aber der eine als unbeabsichtigt, der andere als Selbstbestrafung dargestellt.

Jedes dieser von der Tagträumerin selbst gebrachten Beispiele für Einbrüche des Schlagethemas in die schönen Geschichten konnte die Analyse als einen neuen Beleg für die schon vorhin behauptete Verwandtschaft beider verwerten. Den überzeugendsten Beweis für ihre Zusammengehörigkeit lieferte aber ein Geständnis in der Fortsetzung der Analyse. Da ergab sich nämlich, daß hie und da, allerdings ganz selten, ein direkter Umschlag der schönen Geschichte in die Schlagephantasie stattgefunden hatte. In schlechten Zeiten, d. h. in Zeiten größerer äußerer Anforderungen oder geringerer innerer, Leistungsfähigkeit war es den schönen Geschichten nicht immer gelungen, ihre Aufgabe zu erfüllen. Und dann war es mehrfach geschehen, daß sich im Abschluß und Höhepunkt einer phantasierten schönen Szene plötzlich die alte Schlagesituation mit der ihr zugehörigen sexuellen Befriedigung an Stelle der angenehmen und heiteren Liebessituation gesetzt und der aufgestauten Erregung die volle Abfuhr verschafft hatte. Aber solche Vorfälle waren immer so bald als möglich vergessen, aus dem, Gedächtnis gelöscht und mit großer Konsequenz als nicht geschehen betrachtet worden.

Die Beschäftigung mit den Zusammenhängen zwischen Schlage. phantasie und schöner Geschichte ergibt uns also vorläufig drei wichtige Beziehungen zwischen ihnen., erstens eine auffallende Analogie in der Struktur der Einzelstücke, zweitens eine Reihe inhaltlicher Übereinstimmungen und drittens die Möglichkeit eines direkten Umschlags. Als wichtiger prinzipieller Unterschied ist geblieben, daß die schöne Geschichte dort, wo in der Schlagephantasie die Schilderung eines Züchtigungsaktes steht, eine unerwartete Zärtlichkeitsszene eintreten läßt.

Kehren wir an dieser Stelle -zu dem Aufsatz Freuds mit seiner rekonstruierten Vorgeschichte der Schlagephantasie zurück. Wie schon angeführt, heißt es dort, daß die uns bekannte Form der Schlagephantasie nichts Ursprüngliches ist, sondern nur der Ersatz für eine inzestuöse Liebesszene, die durch Verdrängung entstellt und durch Erniedrigung auf die sadistisch-anale Stufe zur Darstellung als Schlageszene gekommen ist. Von diesem Gesichts», punkt aus drängt sich uns eine Erklärung des Unterschiedes zwischen Schlagephantasie und Tagtraum auf: der angebliche Fortschritt von der Schlagephantasie zur schönen Geschichte scheint nichts anderes zu sein als die Rückkehr zu einer früheren Phase, Bei scheinbarer Entfernung von der Schlageszene wird deren eigentlicher Sinn, die in ihr verborgene Liebessituation, zurückgewonnen.

Dieser Behauptung fehlt aber vorläufig noch das wichtigste Stück. Wir wissen, daß der Höhepunkt der Schlagephantasie untrennbar mit dem Zwang zur sexuellen Befriedigung und dem darauffolgenden Auftauchen von Sdiuldgefühlen verknüpft ist. Der Höhepunkt der schönen Geschichte dagegen Ist von beiden frei. Das erscheint auf den ersten Blick unverständlich, da wir wissen, daß beide, sexuelle Befriedigung wie Schuldbewußtsein, gerade aus der verdrängten Liebesphantasie bezogen werden, die in der Schlagephantasie verhüllt, in der schönen Geschichte aber zur Darstellung gebracht wird.

Die Lösung liegt in der Einsicht, daß eben auch die schöne Geschichte die untergegangene Liebesphantasie nicht unverändert wieder aufnimmt. In dieser aus der frühen Kindheit stammenden inzestuösen Wunschphantasie hatte es sich um eine Vereinigung aller Sexualtriebe auf ein erstes Liebesobjekt, den Vater, gehandelt. Die Verdrängung der Odipuseinstellung hatte dann den Verzicht auf die meisten dieser kindlichen Sexualziele erzwungen. Die früheren „sinnlichen“ Strebungen waren ins Unbewußte verwiesen worden. Daß sie in der Schlagephantasie wieder aufgetaucht sind, bedeutet nichts als ein teilweises Mißlingen dieser Bemühung.

Ist aber so die Schlagephantasie eine Rückkehr des Verdrängten, nämlich der inzestuösen Wunschphantasie, so sind anderseits die schönen Geschichten ihre Sublimierung. In der Schlagephantasie finden die direkten Sexualtriebe ihre Befriedigung, in der schönen Geschichte diejenigen, die Freud als „zielgehemmte“ bezeichnet. Wie in der Entwicklung des Verhältnisses des Kindes zu seinen Eltern teilt sich die ursprüngliche Vollströmung der Liebe in eine verdrängte sinnliche Strebung (hier die Schlagephantasie) und eine sublimlerte zärtliche (die schöne Geschichte).

Wir erhalten also für die beiden Phantasievorstellungen das folgende Schema: Aufgabe der Schlagephantasie ist die verhüllte Darstellung einer immer gleichbleibenden, sinnlichen Liebesituation, In der Sprache der sadistisch-analen Organisation als Schlageakt ausgedrückt. Das Thema der schönen Geschichten da gegen ist die Darstellung der verschiedensten gütigen, zärtlichen und liebevollen Regungen, aber auch ihre Aufgabe ist wie die der Schlagephantasie eine monotone: sie besteht in der Herstellung einer Freundschaft zwischen einem Schwachen und einem Starken, einem Knaben und einem Erwachsenen oder, wie manche Tag, träume es ausdrücken, zwischen einem Niedrig. und einem Höher, gestellten. Der Umstand, daß schon während der Ihnen bekannten Entwicklung der Schlagephantasie die Geschlechtsdifferenz auf. gegeben wurde und das Mädchen sich regelmäßig in einen Knaben verwandelt darstellte, kommt natürlich einer solchen Sublimierung der sinnlichen Liebe zur zärtlichen Freundschaft ganz besonders zu Hilfe.

III.

 Es war die Absicht dieser Mitteilung, an Hand eines einzelnen Falles von nebeneinander bestehenden Schlagephantasien und Tagträumen dem gegenseitigen Verhältnis beider nachzugehen, um das Vorhandensein und die Natur der Zusammenhänge zwischen ihnen festzustellen. Diese Aufgabe scheint mir mit dem bisher Gesagten, so weit hier möglich, gelöst. In den Bemerkungen, die jetzt noch folgen, ergreife ich nur eine Gelegenheit, die das gleiche Beispiel uns bietet, das Schicksal eines solchen fortgesetzten Tagtraums, und zwar wieder der uns bekannten Rittergeschichte, ein weiteres Stück zu verfolgen.

Mir liegt eine schriftliche Fixierung des Rittertagtraums vor, die von der Tagträumerin an einem bestimmten Zeitpunkt mehrere Jahre nach seinem ersten Auftauchen angefertigt worden war. Diese Niederschrift ist eine kurze, spannende Erzählung, deren Inhalt die Zeit der Gefangenschaft des Junkers umfaßt. An Ihrem Ausgangspunkt steht die Folterung des Gefangenen, an ihrem äußersten Ende seine Weigerung, eine Flucht zu versuchen. Man ahnt hinter diesem freiwilligen Verbleiben auf der Burg seine Wendung zum Grafen, Alle Ereignisse sind als vergangen dargestellt, eingekleidet in ein Gespräch des Grafen mit dem Vater des Gefangenen.

Während so die geschriebene Erzählung den Stoff des Tagtraurns behält, verändert sie seine Verarbeitung. Im Tagtraum wurde die Herstellung der Freundschaft zwischen dem Starken und dem Schwachen in jeder kleinsten Einzelszene immer wieder voll. ständig durchgeführt, in der Niederschrift verteilt sich diese Entwicklung auf den ganzen Zeitraum der Handlung. Die Einzel. szenen des Tagtraums gehen bei dieser Umwandlung verloren, einiges von dem Situationsmaterial, das sie enthielten, kehrt in der Niederschrift wieder, ihre Einzelhöhepunkte werden aber durch keinen großen Höhepunkt am Ende der geschriebenen Erzählung ersetzt Das Ziel – die Vereinigung der urprünglichen Gegner wird in ihr nur vorausgeahnt, nicht mehr wirklich geschildert. Infolgedessen verteilt sich das Interesse, das im Stadium des Tagtraums auf bestimmte Höhepunkte konzentriert blieb, hier gleichmäßiger auf alle Situationen und Gestalten.

Dieser Änderung im Aufbau entspricht eine Änderung im Mechanismus der Lustgewinnung. Im Tagtraum bedeutete jede Neubildung oder Wiederholung einer Einzelszene eine neue Möglichkeit zur lustvollen Triebbefriedigung. In der geschriebenen Erzählung dagegen ist die direkte Lustgewinnung aufgegeben. Zwar geschah seine Niederschrift selber noch in einem Zustand beglückter Erregung, ähnlich dem Zustand beim Phantasieren. Die fertiggeschriebene Erzählung aber ruft keine solche Erregung hervor. Ihre Lektüre ist zur tagtraumhaften Lustgewinnung unverwendbar. Sie wirkt in dieser Beziehung nicht anders auf die Verfasserin als die Lektüre irgend einer fremden Erzählung ähnlichen Inhalts,

Wir kommen hier auf die Vermutung, daß die beiden wichtigen Unterschiede zwischen Tagtraum und Niederschrift der Untergang der Einzelszenen und der Verzicht auf die tag. traumhafte Lustgewinnung an bestimmten Höhepunkten – in engem Zusammenhang stehen. Die geschriebene Erzählung muß aus anderen Motiven entstanden sein und anderen Zwecken dienen als der Tagtraum. Sonst wäre die Rittergeschichte auf ihrem Wege von der Phantasie zur Niederschrift einfach aus etwas Brauchbarem zu etwas Unbrauchbarem geworden.

Über die Gründe befragt, die sie zur Niederschrift gedrängt hatten, konnte die Verfasserin selber nur einen ihr bewußten an. geben. Die geschriebene Erzählung, meinte sie, wäre in einer Zeit besonderer Aufdringlichkeit des Rittertagtraums als Abwehr gegen ihre übermäßige Beschäftigung mit ihm entstanden. Ihre Absicht sei dabei gewesen, seinen allzu lebendig gewordenen – Gestalten eine Art selbständiger Existenz zu schaffen, damit sie keine Ansprüche mehr an ihre Phantasietätigkeit zu stellen brauchten. Der Rittertagtraum war auch tatsächlich nach seiner Niederschrift für sie so gut wie erledigt. Diese Art der Begründung läßt aber vieles unverständlich: gerade die Situationen, deren Uberdeutlichkeit zur schriftlichen Fixierung gedrängt haben sollen, werden in die Niederschrift gar nicht mit aufgenommen, während andere, die der Tagtraum nicht enthalten hatte (z. B. die Folterung), breit ausgeführt werden. Das gleiche gilt auch für die Gestalten: die Niederschrift unterschlägt manche, die der Tagtraum zu voller Individualität entwickelt hatte und fahrt dafür andere (wie z. B. den Vater des Gefangenen) neu als handelnd ein.

Eine zweite Motivierung der Niederschrift ergibt sich im Anschluß an eine Äußerung Dr. Bernfelds über die Dichtversuche jugendlicher. Er bemerkt dort, daß bei solchen Aufzeichnungen von Tagträumen der Beweggrund zur Aufzeichnung nicht im Tagtraum selbst, sondern, außerhalb desselben zu suchen ist Und zwar findet er dieses Motiv in der Wirksamkeit bestimmter, vom Ich ausgehender, ehrgeiziger Tendenzen, so etwa in dem Wunsch, als Dichter auf andere zu wirken, sich Achtung und Liebe der anderen auf diese Art zu verschaffen. Wenden wir diese Theorie auf unseren. Fall der Rittergeschichte an, so wäre der Vorgang bei ihrer Entwicklung vom Tagtraum zur Niederschrift der folgende gewesen: Im Dienste von ehrgeizigen Strebungen nach Art der ebe n* genannten wird aus der privaten Phantasie eine für andere bestimmte Mitteilung. Bei dieser Umwandlung werden alle Rücksichten auf die persönlichen Bedürfnisse der Träumerin durch Rücksichten auf die erhofften Leser ersetzt. Der direkte Lustbezug aus dem Inhalt der Nieder. schrift kann ausbleiben, weil die Niederschrift als solche der ehr. geizigen Strebung Befriedigung und dadurch der Verfasserin indirekt Lust verschafft. Mit diesem Verzicht auf den direkten Lustbezug schwindet aber auch die Bevorzugung bestimmter Stücke des Inhalts der Höhepunkte des Tagtraums – die zur Lustgewinnung besonders geeignet waren, ebenso fallen in der Niederschrift (wie die Auf. nahme. der Folterszene zeigt) die Beschränkungen fort, die dem Tagtraum die Ausführung von Situationen aus der Schlagephantasie verboten hatten. Die Niederschrift behandelt eben alle Stücke des Tagtrauminhalts gleichmäßig als objektives Material und läßt sich bei der Auswahl aus ihnen durch die Rücksicht auf Darstellbarkeit leiten. Dehn je besser die Darstellung des Stoffes gelingt, desto größer ist die Wirkung auf andere und damit der indirekte Lustbezug. Die Verfasserin verzichtet also, dieser Wirkung auf andere zuliebe, auf die persönliche Lust und vollbringt damit eine Wendung vom Autismus zum Sozialen. Wir können sagen: sie bahnt sich so den bekannten Rückweg aus dem Phantasieleben wieder in die Realität.

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